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Was wir von Malcolm Gladwell aus seinem Buch "Talking to Strangers" über Versicherungsbetrug lernen können

Martyn Griffiths

Feb 18, 2020

Selbst wenn wir auf Verdachtsmomente stoßen, üben wir uns in falscher Vorsicht, bevor wir Anschuldigungen erheben
Selbst wenn wir auf Verdachtsmomente stoßen, üben wir uns in falscher Vorsicht, bevor wir Anschuldigungen erheben
Selbst wenn wir auf Verdachtsmomente stoßen, üben wir uns in falscher Vorsicht, bevor wir Anschuldigungen erheben

In der Versicherungsbranche wird von uns erwartet, dass wir unsere Kunden kennen – sie sollten für uns keine "Fremden" sein. In der zunehmend digitalen Welt von heute werden unsere Interaktionen mit den Kunden jedoch immer unpersönlicher: Inzwischen verlassen wir uns mehr auf einen Mausklick als auf ein persönliches Gespräch wie in früheren Zeiten. Uns stehen immer mehr Daten über unsere Kunden zur Verfügung und dennoch scheinen wir sie weniger gut zu kennen. Der erste persönliche Kontakt mit den Kunden erfolgt häufig dann, wenn sie einen Schadenfall haben.

Vor Kurzem habe ich "Talking to Strangers" von Malcolm Gladwell gelesen. Darin zeigt der Autor anhand von Theorien und Konzepten auf, wie häufig wir die Handlungen und Absichten anderer Menschen missverstehen und falsch auslegen. Dabei fiel mir auf, dass manche dieser Theorien auch äußerst relevant für Gespräche sind, die ich mit Versicherern im Zusammenhang mit Versicherungsbetrug führe.

Das erste von Gladwell erforschte Konzept ist die von Tim Levine aufgestellte Wahrheits- und Verleugnungstheorie. Um es offen auszusprechen: Die meisten von uns sind nicht besonders gut darin, eine Täuschung zu erkennen, denn es bedarf einiges, um unsere Zweifel in einen regelrechten Unglauben zu verwandeln. Selbst wenn wir auf Verdachtsmomente stoßen, üben wir uns in falscher Vorsicht, bevor wir Anschuldigungen erheben. Damit verleugnen wir die Wahrheit (unsere Überzeugung).

Weshalb verleugnen wir die Wahrheit?

Gladwell nennt uns mehrere Beispiele, unter anderem Bernie Madoff, der das größte Ponzi-System der Geschichte betrieb. Madoff hatte hocherfahrene Investoren getäuscht. Selbst als diese ihre Zweifel äußerten, war es ihm gelungen, sie in einem persönlichen Meeting zu beschwichtigten. Mit dieser Methode konnte Madoff die Investoren erfolgreich davon überzeugen, dass sie einfach weitermachen sollten, denn "hier gäbe es nichts zu sehen". Diese misstrauischen Investoren bemerkten die Warnhinweise Jahre, bevor Madoff tatsächlich entlarvt wurde. Gladwell führt auch Harry Markopoulos als Beispiel auf, einen unabhängigen Betrugsermittler, der instinktiv jeden verdächtigt. Markopoulos hinterfragte die Aufrichtigkeit von Madoff viele Male, seine Warnungen stießen jedoch auf taube Ohren. Dadurch, dass die Investoren instinktiv die Wahrheit und ihre Überzeugung verleugneten, konnte Madoff seine Machenschaften fortsetzen, auch wenn die Erträge, die er angeblich erzielte, rational betrachtet nicht logisch waren.

Was verrät uns diese Erkenntnis über Versicherungsbetrug? Falls Sie es noch nicht erlebt haben, wie überzeugend Betrüger sein können und wie erfolgreich sie Social Engineering einsetzen, sehen Sie sich dieses video an. Es ist erschreckend! Nachdem wir erfahren haben, dass die Täuschung so einfach ist, müssen wir nun sicherstellen, dass unsere Sachbearbeiter sich an Markopoulos ein Beispiel nehmen und jeden verdächtigen?

Laut Gladwell verleugnen wir die Wahrheit aus dem Grund, dass die Gesellschaft nicht mehr funktionieren würde, wenn wir jeden als einen Verdächtigen behandelten. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Versicherer alle ihre Kunden als Verdächtige behandeln würden. Die Kundenzufriedenheit würde abrupt sinken, während die Kostenquoten in die Höhe schnellen würden. Liefert das Buch auch Anhaltspunkte für einen alternativen Ansatz?

Künstliche Intelligenz versus menschliches Beurteilungsvermögen

Gladwell nennt eine Studie von Sendhil Mullainathan, der an der Universität Chicago tätig ist und die Ergebnisse von mehr als einer halben Million Kautionsanhörungen untersucht hatte. In diesen Fällen ließen die Richter 400.000 Beschuldigte frei. Einige der Beschuldigten, die auf Kaution freigelassen wurden, begingen weitere Straftaten. Mullainathan verwendete einen KI-Algorithmus, um die Richtersprüche im Hinblick auf die personenbezogenen Angaben der Beschuldigten sowie ihre Daten aus dem Vorstrafenregister zu prüfen. Den Richtern standen jedoch viel mehr Informationen zur Verfügung, um ein Urteil zu fällen. Sie konnten die Beschuldigten sehen und sich mit ihnen unterhalten. Man sollte meinen, dass ihre Urteile besser als die des Computers sein mussten.

Die Ergebnisse zeigten einen signifikanten Unterschied auf. Die Trefferquote des Computers war erheblich höher als die der Richter. Bei den 400.000¯Beschuldigten, die laut Computer auf Kaution freigelassen werden sollten, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie während dieser Zeit eine Straftat begehen würden, 25¯Prozent niedriger. In den Fällen, in denen der Computer ein hohes Risiko der Straffälligkeit berechnet hatte (ein Prozent der Population), beschlossen die Richter, knapp die Hälfte der Beschuldigten auf Kaution freizulassen. Der Computer traf nicht nur bessere Entscheidungen, er hatte auch weniger Informationen zur Verfügung. In der Tat erscheint es plausibel, dass die zusätzlichen Informationen (die persönliche Interaktion der Richter mit den Beschuldigten) die richtige Urteilsfindung nicht erleichterte, sondern erschwerte. Nach der Betrachtung des Social-Engineering-Videos weiter oben ist es möglicherweise verständlich. Unser Instinkt, die Wahrheit zu verleugnen, kann uns zu falschen Schlussfolgerungen verleiten.

Automatisierung hilft, sich auf die Ehrlichen zu konzentrieren

Wenn wir nun dieses Beispiel auf den Versicherungsbetrug übertragen, so scheint es offensichtlich zu sein, dass Ihre Sachbearbeiter das tun sollten, was sie am besten können: den Kunden Wertschätzung und Interesse entgegenbringen und ihren Kummer in einen magischen Augenblick verwandeln. Dank der automatischen Echtzeit-Betrugserkennung können sie sich dafür Zeit nehmen, denn das System beurteilt, welche Risiken hervorgehoben und weiter untersucht werden sollen und wann eine sofortige Auszahlung veranlasst werden soll.